“Es genügt nicht, dass man zur Sache spricht. Man muss zu den Menschen sprechen.”

Stanislaw Jerzey Lec, polnischer Schriftsteller

Ein Beitrag von Silvia Hagen und Oscar Genovese

Agilität ist in aller Munde - Kunden, Bekannte und Freunde, die wie wir auch in der IT Branche unterwegs sind, erzählen, wie sich ihre Unternehmen in den nächsten Jahren verändern werden, um den immer komplexeren Marktanforderungen gerecht zu werden.

Agile Methoden sollen dabei helfen Struktur, Transparenz und mehr Flexibilität in die Produktentwicklung und die Gesamtorganisation zu bringen. Hierarchische Organisationsstrukturen sollen verflacht werden und so den Mitarbeitern im Unternehmen die Möglichkeit bieten, selbstbestimmter zu arbeiten. Mit häufig externer Hilfe werden Mitarbeiter auf agile Methoden geschult und die Teamstrukturen angepasst, in der Hoffnung, dass dadurch ein Mehrwert für den Kunden erzeugt wird.

Sand im Getriebe

Trotz dem Einsatz kompetenter Coaches und der Ausbildung der Mitarbeitenden erleben viele Unternehmen, dass die Umsetzung nicht so einfach ist, wie sich das in der Theorie anhört. Widerstände aus verschiedenen Bereichen tauchen auf, ehemalige Projektleiter missverstehen die täglichen Meetings als Kontrollinstrument, agile Prozesse werden plötzlich wieder von hierarchischen Regeln über den Haufen geworfen, unterschiedliche Knowhow-Levels in den Teams und mangelhafte Kommunikation sorgen für Misstimmung, es wird viel Zeit verschwendet, um Schuldige zu suchen, statt Lösungen zu finden, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Kurzform: Es gibt zuviel Sand im Getriebe.

Was ziehen wir daraus für Schlüsse?

Häufig wird die Schlussfolgerung gezogen, dass Agilität (oder Scrum, oder <andere Methode>) halt doch nicht funktioniert. Oder dass es nicht richtig gemacht wurde und darum nicht funktioniert, dabei hat man sich doch genau an die gelernten Richtlinien und agilen Guides gehalten.

Schauen wir doch mal im Scrum Guide, ob wir da weiterführende Einsichten finden:

Auszug Scrum Guide:

Wenn die Werte- Selbstverpflichtung, Mut, Fokus, Offenheit und Respekt
durch das Scrum-Team verkörpert und gelebt werden,
werden die Scrum-Säulen Transparenz, Überprüfung und Anpassung lebendig
und bauen bei allen Beteiligten Vertrauen zueinander auf.

Eine wichtige Aussage, die leider häufig unbemerkt untergeht neben den vielen exakten Regeln über Durchführung und Timing von Scrum Ereignissen und Rollendefinitionen. Vertrauen? Wozu brauchen wir denn das? Mut, Offenheit, Respekt? Ganz neue Töne nicht?

Damit sind wir beim Thema «Mindshift» angelangt. Beim Start jeder agilen Transformation sprechen wir über die Notwendigkeit von Mindshift, darüber, dass agil werden viel mehr ist als nur neue Strukturen einzuführen und neue Prozesse zu definieren. Das wird in der Regel abgenickt. Erst in der Umsetzung jedoch, wenn sich der Sand im Getriebe bemerkbar macht, stellt man fest, dass es nicht klar war, was das bedeutet.

Mindshift - eine ganzheitliche Betrachtungsweise

In unserer Arbeit in integraler Organisationsentwicklung hat sich das Vier-Quadranten-Modell von Ken Wilber sehr bewährt, um zu veranschaulichen, worum es geht. Einfach schematisch dargestellt sieht das so aus:

Das Vier-Quadranten-Modell nach Ken Wilber

Das Vier-Quadranten-Modell nach Ken Wilber

Die oberen beiden Quadranten beschreiben das Individuum, links wie sich das Individuum selbst von innen erlebt und rechts, wie es sich verhält, was es für Skills, Talente, Eigenschaften und Verhaltensweisen hat.

Die unteren beiden Quadranten beschreiben das Kollektiv, im Fall der Arbeit in Organisationen also in der Regel die Organisation als Ganzes, oder gewisse Bereiche oder Teams. Links wieder die Innenschau, Kultur, gemeinsame Wert, Umgang miteinander. Rechts ist die Organisation, wie sie sich nach aussen zeigt, ihre Struktur, Prozesse, Infrastrukturen, Hierarchien, Produkte, Lohnsysteme etc.

Kernaussage von Ken Wilber bezüglich der vier Quadranten:
Die Kernaussage von Ken Wilber heisst: Wenn ich in einer Organisation Transformation anstosse, indem ich zum Beispiel agile Methoden einführe (Veränderung rechts unten), so muss diese Veränderung in allen vier Quadranten stattfinden, damit sie nachhaltig sein kann.

Das könnte dann im Fall der Einführung von Scrum oder einer anderen agilen Methode etwa so aussehen:

Im Quadranten rechts unten ist der Auslöser der Transformation, die Einführung von agilen Methoden, zum Beispiel Scrum, also von neuen, veränderten Prozessen.

Gemäss dem Quadranten rechts oben werden nun alle Mitarbeiter und Teammitglieder, die damit zu tun haben, in Schulungen geschickt. Häufig sind das jedoch einfach methodische Schulungen, wie zum Beispiel Ausbildung zum Scrum Master oder Product Owner. Selten wird erkannt, wie wichtig es ist, die Mitarbeiter auch beim Entwickeln neuer Kommunikationsformen und Mittel zu unterstützen und sie anzuleiten, wie man innerhalb weitgehend selbstbestimmter Teams mit Konflikten und Widerständen umgehen kann. Auch der Punkt «Coaches» wird häufig ausgelassen.

Einführung agiler Methoden im Quadrantenmodell

Einführung agiler Methoden im Quadrantenmodell

Wir haben hier «HR» mit Fragezeichen eingetragen. Es wäre in agilen Organisationen eine gute Möglichkeit, die häufig guten sozialen und psychologischen Kompetenzen in HR für Coachings der Mitarbeiter zu nutzen (sofern HR nicht einfach nur eine administrative Abteilung ist). In diesem Fall sollte eventuell auch HR darin unterstützt werden, diese neue Rolle zu lernen und Erfahrungen im Umgang mit den Herausforderungen einer agilen Transformation aufzubauen.

Der kollektive Mindshift findet im Quadranten unten links statt. Hier braucht es teambildende Workshops, die die Transformation begleiten und mit den Mitarbeitern über Themen wie Vertrauen, Umgang miteinander, gemeinsame Werte, Loyalität und vieles andere mehr diskutieren und eine neue gemeinsame Sicht aufs Unternehmen und auf den Umgang miteinander schaffen. Vertrauen? Wo hatten wir das schon mal? Ach ja, im Scrum Guide.

Es ist verbreitet bekannt und wurde vor allem auch durch eine grossangelegte interne Google Studie nachdrücklich belegt, dass die Schlüsselfaktoren, die erfolgreiche Teams ausmachen gegenseititges Vertrauen und das Gefühl von Sicherheit sind.

Damit ist jedes Teammitglied, jeder Mitarbeiter auch im Quadranten oben links herausgefordert. Bin ich bereit, mich mit mir selber auseinanderzusetzen, mich zu entwickeln, mehr Verantwortung zu übernehmen, mich anders ins Team einzubringen etc. Erfahrungsgemäss gibt es in jeder Organisation Menschen, die dazu entweder nicht bereit, oder nicht fähig sind. Wenn jemand viele Jahre erfolgreich und zufrieden in einer Organisation gearbeitet hat, wo ihm weitgehend alles vorgeschrieben war und es vor allem darum ging, die aufgetragenen Aufgaben nach den vorgegebenen Regeln korrekt und zuverlässig auszuführen, so kann es sein, dass dieser Mensch keinen Wunsch verspürt oder auch die Kapazität nicht hat, sich so zu verändern, wie es die Arbeit in agilen Teams verlangt. Das ist völlig ok, man kann Menschen nicht zur Veränderung zwingen, entweder findet man für sie intern einen Bereich, wo sie so arbeiten können wie es ihnen entspricht, oder sie springen ab. Eine gewisse Fluktuation bei der Einführung agiler Methoden ist nicht unüblich.

Was lernen wir daraus?

Veränderungen in einem Unternehmen werden häufig über Struktur- oder Prozessanpassungen angestossen. Das ist eine Veränderung im Quadranten unten rechts. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um sich als Unternehmen langfristig und erfolgreich als agil zu positionieren und den komplexen und hochdynamischen Marktanforderungen auf die Dauer gewachsen zu sein. Die vorgängig beschriebenen (oder ähnliche, der Organisation und den Mitarbeitern angepasste) Massnahmen müssen begleitend eingeführt werden.

An dieser Stelle liegt für Unternehmen und die Verantwortlichen agiler Transformationen die grösste Herausforderung, die noch zuwenig im Fokus ist. Veränderung löst unterschiedliche Emotionen in Menschen aus, es braucht eine pragmatische, situationsgerechte und auf Vertrauen basierte und sinnvolle Vorgehensweise und eine Begleitung der Mitarbeiter in der Veränderung. Der Schlüssel zum Erfolg einer komplexe Transformation liegt bei jedem einzelnen Mitarbeiter. Darauf baut aus unserer Sicht alles auf, hier entsteht das Evolutionäre und Kreative. Sofern man dem genügend Aufmerksamkeit gibt und die Mitarbeiter möglicherweise anfangs auch individuell mit persönlichen Coaches unterstützt. Für jeden ist der Weg zum neuen Mindset ein anderer, je nach Herkunft, Vorbildung und Ausgangslage.

Agile Transformation bedeutet auch den Menschen ins Zentrum zu stellen

Nur so können wir das kreative Potential der Mitarbeiter nutzen. Es bedeutet in der Konsequenz, dass wir uns mit menschlichen Themen wie Widerstand, Spannungen, emotionalen Reaktionen auseinandersetzen müssen. Wenn wir den Fokus auf den Menschen richten, werden Spannungen sichtbar, die vielleicht in der vorherigen direktiven und kontrollierten Welt entweder nicht so bewusst waren, oder unter den Teppich gekehrt wurden. Das Wort "Spannungen" ist per se nicht negativ zu verstehen, eine Spannung kann ein positiver und kreativer Impuls sein, den jeder Mensch einbringen kann, um Veränderung anzustossen. Aus unserer Sicht, ein Wechselspiel zwischen Emotionen und Kreativität, die neues in einem Team entstehen lassen.

Der konstruktive Umgang mit Ideen, Wünschen, Bedürfnissen, Geistesblitzen, Anregungen, Problemen und Konflikten sind Themen, die mit keiner agilen Methode, oder deren Schulung vermittelt werden. Wenn wir da den Menschen ins Zentrum stellen, schaffen wir die Verbindung zwischen Individuum und Methode.

Situative Führung

Jede Führungskraft, die bereits Erfahrungen mit Mitarbeitern während einer solchen Transformation gemacht hat, kennt diese Hürden und Stolpersteine. Ein solches Umfeld, verlangt die situative Einnahme unterschiedlicher Rollen (Facilitator, Coach etc.) und kann sehr herausfordernd sein. Viele Führungskräfte suchen nach Lösungsansätzen. oder möglichen Vorgehensweisen, die ihnen helfen, auf diesem schwierigen Tanzparkett die Balance zu finden.

Genau da wollen wir unsere Erfahrungen mit Gleichgesinnten teilen und unsere Kompetenzen aus dem Bereich Organisations- und Teamentwicklung einbringen, um das fehlende Puzzle Teil "Umgang mit Menschlichem" ins Gesamtbild einer erfolgreichen Transformation einfügen. Dies als wichtige Ergänzung zu den selbstverständlich unerlässlichen Ausbildungen in der Methodik an und für sich. Für die Ausbildung in den Methoden gibt es ausreichend anerkannte und zertifizierte Ausbildungen.

Wir möchten uns mit Euch zusammen leichtfüssig auf diesem Parkett bewegen, ganz im Sinne von "Dancing with Agility". Möchtest Du mit uns tanzen, schreib uns eine Mail. Wir bieten dieses Training öffentlich und als Firmenkurs an.